Magische Macarons

Immer wenn Klaus Wieland den Laden von Madame Tamis betrat, machte er einen Schritt in eine andere Welt. Es duftete nach Süßgebäck mit einem Hauch von Zitrone und Vanille, neben dem exotisch anmutenden Duft nach Maracuja und weiteren Zutaten, die er nicht kannte. Die Wände waren weiß-pastellrosa gestreift, verschnörkelte Jugendstillampen und Spiegel verliehen dem Interieur etwas Zauberhaftes. Die gläserne Verkaufstheke beanspruchte fast die ganze Breite des Raumes und war stets vollkommen sauber geputzt.

Das Auffälligste im Raum aber waren die Macarons. Diese füllten die gesamte Fläche der Theke und versprachen dem Käufer einen Ausflug in den zauberhaftesten Himmel, den es auf Erden gab. Madame Tamis hatte immer sieben Sorten im Angebot, die sie ständig wechselte, und die alle – das musste Klaus nicht ganz neidlos anerkennen – einfach jedes Mal fantastisch schmeckten.

Diese vollkommenen Macarons mit ihrem perfekten Biss, der makellosen Oberfläche und der verführerischsten Füllung. Mit einem Hauch von Glitzer auf den pastellfarbenen Macaronschalen, den Madame Tamis lächelnd als »Feenstaub« bezeichnete. Alle Sorten waren mit handgeschriebenen und reich verzierten Schildchen beschriftet, welche die Köstlichkeiten als »Feenhäppchen«, »Einhörnchen« oder »Regenbogenträumchen« auswiesen. Er fühlte sich hilflos angesichts der makellos aufgereihten Armee aus Perfektionismus, die ihm aus dem Verkaufstresen heraus entgegentrat.

Noch zauberhafter als ihre Macarons aber war Madame Tamis selber. Sechs Tage die Woche stand sie hinter dem Tresen und verpackte die Köstlichkeiten in weiß-pastellfarben gestreifte Kartonschächtelchen mit Spitzenmuster. Dabei lächelte sie. Immer. Mit ihrem grau melierten, zum Dutt frisierten Haar, in dem – Tatsache! – zwei Stricknadeln steckten, mit ihrem rundlichen Gesicht und den Augen mit den Lachfalten wirkte sie wie Frau, die man gerne als Oma hätte. Oder wie ein Zauberwesen. Wohl auch deshalb stand auf ihrem Namensschild »La bonne fée«.

Klaus betrachtete die Auslage und er fühlte einmal mehr, wie Neid in ihm aufstieg. Wie konnte es sein, dass diese Madame es geschafft hatte, dass seit der Eröffnung ihres Ladens vor einer Woche seine gesamte Stammkundschaft die Macarons nicht mehr bei ihm, sondern bei ihr kaufte? Und – zum Henker! – wie schaffte sie es, alle Sorten jeden Tag von neuem in dieser Anzahl herzustellen? Nie hatte er jemanden gesehen, der ihr im Geschäft aushalf, weder in der Backstube noch an der Kasse. So etwas konnte nicht mit rechten Dingen zugehen.

»Bonjour Monsieur! Was darfs denn heute sein?«, fragte ihn Madame Tamis und riss ihn aus den Gedanken. Sogar der französische Akzent machte ihn wahnsinnig.

»Äh, von allen eines, bitte«, stammelte Klaus. »Und Ihr Geheimrezept«, schob er nach, grinste und spürte, wie er errötete. Verlegen kramte er nach dem Geldbeutel.

»Das ist doch kein secret, kein Geheimnis«, sagte sie fröhlich und zwinkerte ihm zu. »Das finden Sie auf meiner Webseite.« Sie reichte ihm ein Kartonschächtelchen und schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln, bevor er sich hastig bedankte und den Laden beinahe fluchtartig verließ.


Die nächsten sechs Tage versuchte Klaus alles, um hinter das Geheimnis ihrer perfekten Macarons zu kommen. Er studierte die Beschaffenheit, die Konsistenz, den Geschmack und die Art, wie Madame Tamis die Füllungen aufbrachte.
Doch er schaffte es einfach nicht, sie nachzubacken. Jeder einzelne Versuch endete in einem Desaster: Sie zerliefen. Oder sie sprangen. Oder sie fielen in sich zusammen. Oder noch schlimmer, sie waren zäh wie Gummi. Kurz: Sie waren und blieben eine Katastrophe. Je länger er probierte, umso mehr gelangte er zur Überzeugung, dass in Madame Tamis‘ Konditorei nicht alles mit rechten Dingen zuging. Ja, zum Henker – es würde ihn nicht wundern, stünde sie mit ihrem Zauberstab in der Backstube und hexte die Macarons herbei!

»Ich muss herausfinden, was dahintersteckt«, murmelte Klaus und fasste einen Plan.


Noch in derselben Nacht verschaffte er sich Zutritt zu Madame Tamis‘ Backstube. Mit klopfendem Herzen stieß er die Hintertür auf, schlüpfte hinein und verschloss sie hinter sich. Die gedimmten Jugendstillampen im Verkaufsraum warfen gerade genügend Licht in die Bäckerei, sodass er seine Taschenlampe nicht benötigte. Langsam ließ er den Blick über säuberlich aufgereihte Schwingbesen, Kellen, Siebe, Schüsseln und Backformen schweifen.

Aber er sah keine Feen. Und auch keine Elfen. Und er fand schon gar keine Magie. Der vermeintliche Feenstaub auf der Ablagefläche entpuppte sich als Mehl, als er mit dem Finger darüber strich und ihn probehalber ableckte.

»Ach Herrgottnochmal, wie machst du die bloß?«, zischte er und drehte sich einmal im Kreis.

Dann zuckte er zusammen und stieß einen Schrei aus. Er hatte nicht bemerkt, dass Madame Tamis durch die Hintertür in den Raum getreten war.

»Wenn Sie wissen wollen, wie ich sie genau mache, hätten Sie mich einfach fragen können, anstatt hier einzubrechen«, sagte sie tadelnd.

»Es … es tut mir leid!«, stammelte Klaus. »Aber bitte, verraten Sie es mir!«, flehte er. »Sagen Sie mir, welche Magie sie dafür nutzen!«

Sie nahm ihn bei der Hand und zog einen Stuhl heran. Er nickte dankbar, setzte sich und fiel in sich zusammen wie ein nasser Sack.

»Pas de magie! Hier ist keine Magie im Spiel. Nur sieben Dinge, die ich beachte.«

Er sah sie fragend an, schwieg aber und folgte mit den Augen, wie sie bedeutungsvoll den Zeigefinger in die Höhe streckte.

»Erstens: Sie brauchen das richtige Rezept.«

Dann der Daumen.

»Zweitens: Nicht improvisieren! Drittens: Die richtigen Arbeitsutensilien. Viertens: Die Tücken des Backofens kennen. Fünftens: Trocknen lassen!«

Klaus schniefte und nickte heftig. Er blinzelte die Tränen aus den Augen. »Das kenne, habe und tue ich doch schon! Was mach ich denn noch falsch?«

Sie hob theatralisch die Augenbraue und machte eine Pause, bevor sie fortfuhr: »Sechstens: Sie brauchen ganz viel patience, Geduld.«

»Aber … das habe ich doch«, jammerte er.

Er hat sechs – SECHS! – Tage lang patience bewiesen, sein Bestes gegeben. Klaus ließ die Schultern fallen und seufzte. »Sie haben von sieben Geheimnissen gesprochen. Was ist denn das siebte?« Seine Stimme klang resigniert.

Sie lächelte. »Das siebte ist das Wichtigste. Ohne diesen Schritt gelingen Ihnen die Macarons jamais. Das Mehl, der Puderzucker, die gemahlenen Mandeln …« Sie hielt einen Moment inne und schaute Klaus verschmitzt an.

»Also, die Zutaten. Sie müssen alles très sorgfältig … sieben